26. Juni 2013

Distanz, Nähe und Konditionalsätze

Ein paar Trigger habe ich ja schon identifiziert, die mich schnell laut und aggressiv werden lassen. Heute habe ich sehr deutlich einen weiteren erfahren: Räumliche Distanz.
Und zwar nicht eine solche Distanz, bei der ich die Kinder nicht sehen oder hören kann, sondern gerade genug Entfernung, dass ich das Gefühl habe, nicht eingreifen zu können.

Heute sind wir verhältnismäßig viel Auto gefahren. Wir haben aufgrund der angestiegenen Kinderzahl ein etwas größeres Auto, was wunderbar ist. Nur, man ist eben weiter von den Kindern weg. Unterhalten können wir uns noch ganz gut, wenn man etwas lauter spricht, anfassen geht aber nicht. Jedenfalls nicht von vorne nach hinten. Die Kinder können, je nach Sitzkonstellation, einander noch gut berühren, zumindest ihre Füße können sich treffen, wenn die Sitze sich gegenüber gestellt sind. Und die Füße tun das auch, immer mal wieder. Heute eher mal wieder immer.
Eine Meinungsverschiedenheit der beiden Großen artete dann in wildes Getrete aus, das ich zunächst durch beschwichtigende Worte zu stoppen versuchte. Keine Reaktion. Also habe ich gerufen "HALLO! AUFHÖREN JETZT!", immer noch in eher beschwichtigendem, wenn auch deutlich lauterem Ton. Keine Reaktion. Ich fühlte in meiner Kehle das "aaaaaaAAAAARRRGHH" aufsteigen, schaute in den Rückspiegel, um sicher zu gehen, dass kein Auto hinter mir fuhr, und fuhr rechts ran. OK, ich bremste rechts ran. Scharf. Meine Tasche rutschte schwungvoll vom Beifahrersitz und ihr Inhalt verteilte sich im Fußraum. Egal.
Ich legte eine effekthaschende Pause ein und sagte dann ganz ruhig das Unvermeidliche.

Wenn ihr jetzt nicht damit aufhört, wird einer von Euch leider zu Fuß bis nach Hause laufen müssen. Und das ist noch ganz schön weit.


Das Gute: Die Zergerei hörte sofort auf. Kind Nr. 2 sagte in seinem üblichen lässigen Tonfall Ach Mama, wir hören doch schon auf. 

Das Schlechte: Ich finde diese Sätze so erbärmlich, legen sie doch das gesamte Ausmaß der mütterlichen Hilflosigkeit in 2 Sekunden offen!

Während der Fahrt nach Hause habe ich dann überlegt, ob ich die Ausrichtung meiner Challenge noch erweitern sollte, etwa
365 Tage: kein Geschrei, kein Gemecker, weniger Schimpfen und keine Konditionalsätze!,
musste dann aber einsehen, dass ich einer solchen Challenge nicht gewachsen wäre. 


Zwar merke ich, dass ich weniger zu diesen drohenden Zurechtweisungen greife, als vor der Challenge, aber ganz ohne würde ich mich glaube ich meines letzten Mittels beraubt fühlen. In der Regel empfinde ich diese Wenn-Dann-Szenarien auch nicht als echte Drohung den Kindern gegenüber (obwohl sie das ja offensichtlich sind), aber an manchen Stellen überschätze ich die Fähigkeit meiner Kinder, völlig überzogene Konsequenzen wie Wenn Du Deinen Kram jetzt nicht endlich wegräumst, dann muss ich alles wegschmeißen oder verkaufen. als solche zu erkennen: 

Alle meine Sachen? Meinen ganzen Kram, der hier liegt? wimmerwimmer Das kannst Du doch nicht machen, womit soll ich denn dann überhaupt noch spielen? wimmerwimmer (Kind 1)


Bei Kind 2 dagegen lösen diese Androhungen von irgendwelchen ihn betreffenden Konsequenzen häufig hektische Betriebsamkeit aus. Für den Moment klappt es also bei ihm (genauso wie das ebenfalls unvermeidliche Anzählen, das wir uns idiotischerweise angewöhnt haben. Lustig dabei ist allerdings, dass das Zählen allein schon reicht, man muss sich gar keine Konsequenzen ausdenken, die man dann eh nicht einhalten kann oder will. Und drohend muss der Tonfall auch nicht sein. Ich gebe ihm und uns noch ein halbes Jahr, dann wird er wie sein großer Bruder sagen Halt! Was passiert denn bei 3?), elegant finde ich es nicht und hinsichtlich authentischer, respektvoller Kommunikation geht es gar nicht.



In letzter Zeit enden die Sätze, die mit Wenn Du nicht ..... beginnen, bei mir sehr häufig mit abstrusen und irrealen Konsequenzen. Das ist wohl meine Art, noch mal abzubiegen, um nicht tatsächlich Dinge zu verkünden, die entweder den Kindern Angst machen oder die durchzuziehen viel zu anstrengend und unsinnig wäre. Oft klappt das auch, zumindest beim Erstgeborenen. Der erkennt die Ironie und wir können beide schmunzeln, bevor ich dann ein kumpelhaftes Komm, mach mal schnell hauche. Und dann macht er eben auch mal schnell!

Vielleicht erledigen sich diese Sätze ja ab einem bestimmten Alter der Kinder von vornherein. Kind 1 fragte neulich, nach einem Wenn Du Deine Wäsche nicht einsortiert hast, kannst Du auch nachher kein Wickie gucken ganz trocken und sehr treffend, was denn seine Wäsche mit Wickie zu tun habe? Nix! hab ich gesagt, ich will einfach, dass Du das jetzt machst.
Dann sag das doch einfach hat er sich glücklicherweise gespart. Ich hab's mir aber auch so gedacht.


Nein, meine Wenn-Dann-Sätze werden mich mit Sicherheit noch ein Weilchen begleiten, Kind Nr. 3 kann ja noch nicht einmal sprechen ... Richtig problematisch und deshalb für mich und meine Challenge relevant ist allerdings, dass häufig nach der Androhung fiktiver (oder sehr greifbarer) Konsequenzen gefühlt eine Steigerung erfolgen muss, wenn die Macht des Konditionals versagt hat. Und das ist dann eben doch schnell Lautstärke und aggressiver Tonfall. Diese Falle muss ich um jeden Preis vermeiden. Ich werde mich daran erinnern. Vielleicht bekomme ich es ja hin, wie beim Verzicht auf eine Antwort (hier), einfach bevor das "Wenn" überhaupt ausgesprochen ist, nichts zu sagen. Denn eine gute Alternative, eine die inhaltlich deutlich macht, dass ein bestimmtes Verhalten nicht geduldet wird und das auch bestimmte Gründe hat, habe ich noch nicht gefunden.



Und noch ein Satz zu Nähe (schließlich steht es ja in der Überschrift): Das jüngste Kind ist schon immer richtig kuschelig, aber Nr. 1 und 2 fordern im Moment ebenfalls viel körperliche Nähe ein. Das häufige Tragen, das sie sich wünschen, kann ich meist wegdiskutieren (19 bzw. 16kg, Rücken, alte Frau, etc.), dem Kuscheln auf dem Schoß kann ich aber mittlerweile viel mehr abgewinnen, als noch vor einigen Wochen. Da war mir die Nähe dann schnell zu viel, ich will Kaffee trinken (jaja, das alte Thema), ich muss doch hier gerade, ich will jetzt einmal einen Moment ... Und nun mehren sich die Situationen, in denen ich die Nähe der Großen richtig genießen kann. Denn in ganz kurzer Zeit wird sich das mit Sicherheit erledigt haben. Und ob sie beim ersten Liebeskummer gerade zu mir kuscheln kommen, bezweifle ich .....


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen